SEITEN ÜBER MÜNCHEN VON THEODOR FREY
Zum
Gedenken
an
den
"siegreichen"
deutsch-französischen
Krieg
von
1870/71
leistete
sich
die
aufmüpfige
Künstlergruppe,
der
sich
Musiker
und
Offiziere
anschlossen,
einen
pompösen,
patriotischen
"
Festzug
Kaiser
Karls
V.
":
Künstler
wie
August
Kaulbach
entwarfen
Kostüme
und
Kulissen.
Hunderte
Menschen
in
Renaissance-
Gewändern
zogen
mit
Falken
und
Windspielen
ins
Odeon
ein.
Präsident
der
Faschingsgesellschaft
"Allotria"
war
von
1879 bis zu seinem Tod
Franz von Lenbach.
Die "Eskimo-Tragödie“
Am
18.
Februar
1881
erlitten
in
Kil’s
Colosseum,
dem
größten
Vergnügungspalast
der
Stadt,
neun
kostümierte
Studenten an entflammten Fellen einen entsetzlichen Tod.
Darüber schreibt Josef Ruederer in seinem München Buch von 1907:
„Gleich
der
Tag,
wo
dieses
Buch
seinen
Anfang
nimmt,
der
18.
Februar,
ruft
eine
der
stärksten
Erinnerungen
wach.
Da
fand
vor
einem
Vierteljahrhundert
eine
Maskenkneipe
statt,
die
an
Aufwand
künstlerischer
Kraft
sowie
an
Eigenart
der
Ideen
alles
in
Schatten
Stellte,
was
man
bis
dahin
auf
diesem
Gebiete
gesehen
hatte.
Ein
Riesenschiff
auf
der
Kneipreise
um
die
Welt,
das
war
der
Grundgedanke.
Rechts
und
links
vom
Verdeck
und
von
den
Segeln
die
Erdteile,
die
es
berührte.
Alle
waren
vertreten,
die
Chinesen
mit
einem
verschnörkelten
Turm,
der
wilde
Westen
Amerikas
mit
einem
festgefügten
Blockhaus,
die
Sandwich-Insulaner
in
einer
dämmernden
Höhle,
die
Eskimos
in
tranbefeuchtetem
Zelte,
ja,
sogar
ein
Pfahlbauernhaus
konnte
man
sehen.
All
das
belebt
von
den
Inwohnern
in
streng
entsprechender
Gewandung.
Auf
dem
Verdeck
des
Schiffes
endlich,
wo
unaufhörlich
die
Glocke
zum
Einsteigen
lud,
als
lachende
Passagiere
so
ziemlich
alle
Typen
der
Erde,
vom
Kaiser
und
König
bis
zum
Handwerker,
Urlauber
und
Hausknecht.
Das
strömte
hinauf
und
hinunter,
bald
nach
Asien,
bald
nach
Amerika,
bald
nach
Australien,
am
liebsten
jedoch
bliebs
in
Europa.
Dort
gabs
von
allen
Kneipen
der
Weltkugel
doch
noch
immer
die
besten.
In
einem
weissgetünchten
Gewölbe
hielten
fromme
Klosterbrüder
selbstgebrautes
Bier
feil,
echten
Bliemchen
[Als
Bliemchen
wurde
ein
sächsicher
Spießbürger
bezeichnet]
und
Schnaps
gab
es
in
der
sächsischen
Kaffeebude,
und
in
einem
oberbayrischen
Wirtshaus
konnte
man
auf
einer
langen
Bahn
regelrecht
Kegel
schieben.
In
besonders
verschwiegenen
Ecken
jedoch
wurden
einige
jener
Kuriositäten
gezeigt,
die
damals
übermütige
Künstlerlaune
noch
erzeugen
durfte,
ohne
am
andern
Tag
der
Sittenkommission
zu
verfallen.
So
bot
Madame
Lutetia
dem
ruhelosen
Wanderer
gegen
prompte
Bezahlung
ein
mehr
wie
gastliches
Heim,
der
Henker
der
spanischen
Inquisition
zwickte
auf
der
Folterbank
den
Delinquenten
unter
Beistand
der
lieben
Geistlichkeit
ein
Markstück
nach
dem
andern
heraus,
und
ein
Riesenfernrohr
auf
dem
Verdeck
des
Schiffes
zeigte
gegen
fünfzig
Pfennige
Entgelt
die
fratzenhaftesten
Perspektiven.
Dazu
fiedelten
wandernde
Zigeuner
und
bliesen
böhmische
Musikanten
greuliche
Weisen.
Da
plötzlich,
so
um
Mitternacht,
als
der
Trubel
am
höchsten
war,
stürzte
etwas
durch
den
Saal.
Was
nicht
hergehörte,
was
Prasselndes,
Brennendes.
Unheimlich
wars
und
doch
nur
ein
Augenblick.
So
schnell,
dass
es
kaum
auffiel.
Was
gabs
denn?
Neun
Eskimos
als
wandernde
Feuersäulen.
Die
stiessen
in
heller
Verzweiflung
gegen
diese
Welt
von
Leinwand
und
Holzgerüsten.
Nichts
brannte
an,
doch
sie
selber
verkohlten
unter
furchtbarem
Wehgeschrei
draussen
in
der
Vorhalle
oder
auf
dem
Weg
zum
Spital.
Einige
von
dem
Todesschiff
sahen
den
Jammer
und
flohen
davon,
geschüttelt
von
Grauen;
die
meisten
sahen
ihn
nicht.
Sie
kneipten
fort
bis
zum
frühen
Morgen.
Als
man
sie
aber
am
hellen
Mittag
mit
der
Schreckensbotschaft
aus
dem
Bette
jagte,
da
wars,
als
grinste
das
Totengerippe
selber
zur Tür herein.
Und
das
uferlose
Entsetzen
griff
weiter
über
die
ganze
Stadt.
Auf
Jahre
lähmte
es
alle
Unternehmungslust,
alle
Begisterung,
ja,
es
verschob
mit
der
Zeit
die
ganze
Linie
des
Münchner
Karnevals.
Denn
wer
nicht
dabei
gewesen
war,
schimpfte
über
die
leichtfertigen
Leute,
und
so
mancher
wollte
in
der
Katastrophe
den
Finger
Gottes
erblicken,
die
gerechte
Strafe
für
frevelhaften
Übermut.
Den
Künstlern
wurde
bös
in
die
Suppe
gespuckt;
nur
zweimal
noch
kamen
sie
mit
solchen
Kneipen.
Die
aber
erreichten
nicht
mehr
jene
schönste
und
grauenvollste.
Und
der
Münchner
schimpfte
kräftig
weiter.
Er
ist
von
Haus
aus
ein
guter
Kerl,
der,
was
malt
und
bildhauert,
gern
leiden
mag.
Nur
dürfens
die
Herren
nicht
gar
zu
bunt
treiben.
Die
Behaglichkeit
muss
gewahrt
bleiben.
Die
Kneipe
mit
allen
Zutaten
hätte
ihm
trefflich
gefallen,
die
Spässe
hätte
er
belacht,
am
stärksten
die
Zoten
das
Unglück
war
ihm
zu
viel.
Kein
Pietist,
kein
Mucker,
praktischer
Katholik
auf
allen
Gebieten,
sieht
er,
trotzdem
er
gern
in
die
Kirche
geht,
streng
darauf,
dass
ihm
die
Alleinseligmachende
mit
ihren
Vorschriften
in
keiner
Weise
lästig
falle.
Das
Dogma
kennt
er
nicht,
Fanatismus
ist
ihm
direkt
zuwider,
und
doch,
der
Witze
auf
die
Religion
waren
zuviel,
und
was
die
Unsittlichkeit
betrifft,
so
hätten
die
dummen
Maler
auch
etwas
mehr
Mass
halten
können:
„Muass
ma
a
net
alleweil
gar
a
so
sei."
Das
ist
sein
Wahlspruch;
den
zitierte
er
hartnäckig
von
da
an,
wenn
er
auf
den
Unglücksabend
zu
sprechen
kam.
Erst
nach
und
nach
zog
ein
leises
Vergessen
ein,
und
so
tauchte
mit
den
Jahren
ein
Faschingsbild
auf,
das
der
Münchner
und die neue Generation etwas besser verstand.
Glitzernde
Lichter
in
scharf
geschliffenen
Schalen,
ausgestreut
über
einen
weiten
Saal,
schwere
Sammtvorhänge
in
breiten
Goldumrahmungen,
weisse
Putten
als
lachende
Säulenträger,
hohe
Spiegel
von
schmalen
Stäben
in
gleichmässige
Scheiben
geteilt,
das
ist
der
Rahmen,
Zeus
und
Venus
im
hohen
Olymp
mit
dem
halbnackten
Hofstaat,
das
ist
die
Decke,
und
glattgefegtes
Parkett
in
regelmässiger
Dreieckform
gefalzt,
das
ist
der
Boden.
Darauf
wirbelts
herum
in
allen
Schattierungen,
von
gelb
zu
rot,
von
grün
zu
blau,
es
wirbelt
in
Flittern
und
Spitzen,
in
Federn
und
Bändern.
Alles
Bewegung,
alles
Rhythmus,
erzeugt
von
den
Klängen
eines
wiegenden
Walzers.
Hingebend
wird
er
getanzt,
die
kleinen
Logen
entlang
bis
zum
Hintergrund
des
Saales.
Dort
sendet
eine
Riesenmuschel
leuchtende
Sonnenstrahlen
zur
Höhe,
und
in
ihr
thront,
als
ob
es
zur
Fuchsjagd
reiten
wollte,
das
grosse
Orchester
in
scharlachfarbenem
Frack,
heller
Weste
und
schwarzer
Krawatte.
Jetzt
eben
hört
es
zu
spielen
auf.
Die
Fiedelbogen,
die
hoch
und
nieder
gingen
in
gleichmässigem
Tempo,
rasten
wieder
ein
paar
Minuten,
die
Bassgeigen
werden
an
die
Wand
gestellt
wie
hilflose
Gliederpuppen,
die
Blasinstrumente
werden
nach
unten
gehalten.
Drinnen
im
Saale
aber
brichts
los,
schmetternd
und
jubelnd.
Die
Dominos
schwingen
die
Fächer,
die
Tänzer
streichen
die
Glatzen
ab
oder
fahren
mit
dem
Taschentuch
über
das
heisse
Gesicht.
Und
in
den
Logen
krachts
mit
froher
Verheissung
von
den
Pfropfen
der
Sektflaschen.
Aber
schon
rufts
zum
nächsten
Tanz,
zur
Franqaise.
Und
da
stürzt
es
wieder
aus
allen
Ecken
mit
jener
Hast,
die
fürchtet,
zu
spät
zu
kommen.
Man
hebt
kreischende
Weiber
über
die
Brüstung
der
Logen,
man
pufft
nach
allen
Seiten,
man
drängt
und
schiebt
ohne
Rücksicht,
ohne
Pardon.
Mit
Not
und
Mühe
stellen
Tanzordner
die
einzelnen
Schlachtreihen
auf.
Tönen
aber
die
ersten
Klänge,
dann
löst
sichs
in
Vor-und
Zurücktreten,
in
Komplimente
und
Kusshände,
in
Balancieren
und
Drehen.
Immer
lauter
tönt
der
Jubel,
immer
kecker
fliegen
die
Röcke
-
da,
bei
der
vorletzten
Tour
hebt
sich
im
rasenden
Ringeireih
das
wiehernde
Lachen
zum
bachantischen
Gebrüll.
Als
ob
der
Hörselberg
losbräche
mit
Faunen
und
Nymphen.
Alle
die
hochgehobenen
Weiber
mit
fuchtelnden
Armen
und
strampelnden
Beinen
erscheinen
in
diesem
Augenblick
wie
ein
ungeheures
Ganzes,
ein
Riesenpolyp,
der
mit den Männern erst Fangball spielt, ehe er sie gänzlich verschlingt.
Das
ist
der
Höhepunkt,
die
eigentliche
Sensation
des
Karnevalfestes.
Bal
paré
hat
es
der
Münchener
getauft,
und
das
Theater,
in
dem
ers
alle
Wochen
feiert,
das
Deutsche.
Ist
die
letzte
Française
getanzt,
der
Kehraus
gespielt,
dann
verschwindet
man
langsam.
Der
eine
ins
Bett,
wenn
dies
nützliche
Möbel
noch
nicht
ins
Leihhaus
gewandert
ist,
der
andere
zu
Weisswurst
und
Bockbier,
der
dritte
ins
Café
Luitpold
.
Viele
schleichen
in
Frack
und
Lackschuhen
durch
Matsch
und
Schnee
direkt
wieder
zum
Ladentisch,
um
Rosinen
oder
Heringe
zu
verkaufen,
andere
sinnen
auf
neue
Vergnügungen
und
gehen
die
paar
Schritte
weiter
zum
Prachtbau
des
Münchner
Justizpalastes.
Dort
ists
jetzt
gerade
sehr
interessant.
Ein
Ehepaar
sitzt
vor
den
Geschworenen.
Schelhaas
heisst
es,
und
er
will
ein
Kunstmaler
sein.
Was
sich
halt
in
München
so
Kunstmaler
nennt.
Jeder
Mensch,
der
von
auswärts
hierherzieht,
tausend
Mark
Rente
versteuert
und
draussen
in
den
Anlagen
von
Gern
oder
Pasing
eines
der
Grillenhäuschen
kauft,
kann
sich
Kunstmaler nennen. Hat die Villa zufällig noch ein Fenster mit Nordlicht, erst recht.“
1882
arrangierte
Gabriel
von
Seidl
einen
Faschingszug,
wie
ihn
München
noch
nicht
erlebt
hatte.
Die
ganze
Weltgeschichte
bewegte
sich
durch
die
Straßen.
Vom
Hofstaat
des
ägyptischen
Pharao
samt
Sphinx
bis
zur
Gegenwart
in
Gestalt
einer
geschmückten
Lokomotive,
eines
Telegrafen,
einer
Litfaßsäule,
eines
Velocipeds
und
eines
Krupp’schen
Kanonenrohrs.
Sogar
die
Zukunft
marscnt
trug
das
Modell
des
Künstlerhauses,
das
erst
1900
fertig werden sollte.
FASCHING
Kostümfest unter dem Motto
"Festzug Kaiser Karl V."
Ausgerichtet von der Münchner Künstler-vereinigung
"Allotria" im Jahr 1876 zur Eröffnung der
"Allgemeinen deutschen Kunst- und Kunstindustrie-
Ausstellung“ .
Ein Fest und eine Ausstellung zur Popularisierung
der "Deutschen Renaissance".
Als führender Impresario und Gestalter firmierte
Lorenz Gedon. Er entwarf Prunkschlitten für Ludwig
II., die Innenausstattung der Villa Wahnfried für
Richard Wagner, Schlösser, Bürgerhäuser,
Raddampfer und Ausstellungsgroßereignisse. Der
Einsatz modernster Technologien für diesen
Dekorationskult wurde damals keineswegs als
Widerspruch empfunden.
FASCHING 19. Jahrh.