ALLGÄUER ERWECKUNGSBEWEGUNG
"Angeleitet von der christozentrischen Spiritualität Sailers, fanden in Seeg und an anderen Orten seit 1788/89 [Menschen] einen persönlich ergriffenen biblischen Rechtfertigungsglauben {Rechtfertigung durch erfahrene Gnade in einem Erweckungserlebnis], dessen sachliche Übereinstimmung mit Luthers reformatorischen Ansatz ihnen erst allmählich bewußt wurde. Ihre unerschrockene Verkündigung löste die katholische Erweckungsbewegung im Allgäu und in Oberösterreich (Gallneukirchen, 1806) aus, zog aber auch unangemessen harte Gegenmaßnahmen der kirchlichen Oberen nach sich. […] So gab es von Anfang an zahlreiche persönliche Kontakte […] mit den führenden Gestalten der Deutschen Christentumsgesellschaft in der Schweiz und in Württemberg. Die Strahlkraft […] reichte sogar über Süddeutschland hinaus bis nach Berlin und Pommern.“ "Handbuch der bayerischen Geschichte Band III, 2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts" von Max Spindler und Andreas Kraus S. 530/531
Carl Amery (1922 - 2005) hat sich in seiner unvergleichlichen, pointierten Art in seinem Buch "Leb wohl geliebtes Volk der Bayern" [ Bertelsmann 1980] mit der Zeit des Wirkens von Sailer und der Erweckungsbewegung auseinandersetzt: „[Sailer] stammte aus dem bairisch-schwäbischen Grenzgebiet um Aichach, kam aus kleinsten Verhältnissen. Er hatte, wie damals fast jedermann im katholischen Deutschland, bei den Jesuiten studiert, war selbst ein paar Jahre Jesuit, ehe der Orden aufgehoben wurde. ... Sein jugendlicher weltlicher und geistlicher Fürst, Clemens Wenzeslaus aus dem Hause Wettin, wurde auf ihn aufmerksam, und Sailer wurde sein Berater.“ „[Sailers] Hauptsorge galt nicht der kirchlichen Innenpolitik, sondern dem geistig-geistlichen Zustand; und der wiederum hatte seine Wurzeln in der Pädagogik - beziehungsweise ihrem Fehlen. Die Volksfrömmigkeit wucherte und trieb die krausesten Blüten und Früchte, ein Dschungel barocker Magie. Die Gelehrsamkeit an den sogenannten Hohen Schulen aber war festgerannt in dürrer, pseudoscholastischer Rechtgläubigkeit, in moralischen Geometerwesen der Kasuistik, im Memorieren langer Texte, in der sorgfältigen Vermeidung jedes eigenschöpferischen Gedankens.“ „Sailer, der Bauernsohn, vertrat demgegenüber eine sehr einfache Idee. Die Idee nämlich, daß Theologie und gelehrte Spekulation nicht von der Seelsorge getrennt werden dürfen. Mit anderen Worten: Die Idee, daß das Christentum kein Lehrfach ist.“ „[Sailer hatte viele Schüler, die ihn sehr schätzten aber auch Neider]. Man muß einmal auszugsweise (mehr hält man ohnehin nicht aus) die offene und geheime Korrespondenz lesen, die damals zwischen den alten Knochenbenagern von Dillingen und der vorgesetzten Behörde in Augsburg gegen Sailer lief. Sie ist der Tiefpunkt, aber gerade dadurch auch der Prototyp der akademischen und geistlichen Intrige. Fast zehn Jahre lang dauerten diese Querelen, unübertreffliche Selbstzeugnisse geistiger, charakterlicher, spiritueller Impotenz, aber auch Zeugnisse jahrhundertealter Routine im Fertigmachen.“ „Sailer war, so würde man das heute nennen, ein Mann des aggiornamento [italiensich:: giorno - der Tag, auf den Tag bringen, in etwa also: "Anpassung an heutige Verhältnisse"] ist eine von Papst Johannes XXIII. eingeführte Bezeichnung für die notwendige Öffnung der katholischen Kirche]. Es ging ihm darum, katholisches Bewußtsein in die Hauptströmungen der Zeit einzubringen. Und die verliefen, was Monteglas nicht wußte oder ahnte, bereits kräftig in eine andere Richtung: in die Richtung von Fichte und Schelling. „Sailer und noch mehr seine Freunde und Schüler wurden Förderer der neuen Erweckungsbewegung, der christlich-katholischen, die mit Romantik und Nazaarenertum eng zusammenhing. Rom war darüber gar nicht glücklich, aber die aufgeklärte, aber die aufgeklärte, dennoch tyrannische Obrigkeit ebensowenig. Sailer und die Seinen gerieten in die 'beobachtende Fahndung' von beiden. 'Mystik' warf man ihnen jetzt vor. Mystik, das hieß, daß möglicherweise einige Gläubige (oder Untertanen) den behördlichen Kategorien entzogen wurden. Und so lesen sich denn die Rapporte, welche die Ingolstädter und, nach Verlegung der Universität, die Landshuter Polizei nach München lieferte, kaum erleuchteter als, zehn oder zwanzig Jahre früher, die Dillinger Denunziationen. freilich, bald hatte er [Sailer] einen mächtigeren Schützer, als dies der kleine Clemens Wenzeslaus gewesen war, es war Kronprinz Ludwig. ..."
Carl Amery über Johann Michael Sailer (1753–1832) und die von ihm inspirierte Erweckungsbewegung
Johann Michael FENEBERG geboren 1751 in Oberdorf (Marktoberdorf) gestorben 1812 in Vöhringen von 1793 bis 1805 Pfarrer in Seeg
Pfarrer Johann Michael Feneberg, der „Stelzenmichl“, mit Philipp Neri Zech. Im Hintergrund die Kirche in Vöhringen. Ölbild von Konrad Huber, 1808; Konrad Huber (* 24. November 1752 in Altdorf bei Weingarten; † 17. Mai 1830 in Weißenhorn) (Heimatmuseum der Stadt Marktoberdorf)
„Wenn das Leiden unvermeidlich ist, so unterwirft der Christ Herz und Verstand der höhern Ordnung: darin allein ist Heil“ Johann Michael Sailer über die Weisheit von Feneberg
„Dieses Bein ist mir 1793, den 15. Nov. am Freytage abgenommen worden vormittag um 9 Uhr . . . Gott sey Dank durch Jesum für alle das Gute, das dadurch veranlaßt und entstanden ist! Alleluja! Alleluja! Alleluja! Michael Feneberg, Pfarrer in Seeg den 22sten Nov. 1799
Beschriftung der Schachtel: Bein des abgenommenen Fußes von Michael Feneberg, geweßten Pfarrers in Seeg
Stadtmuseum Marktoberdorf Objekt: 6290
J. M. Sailer berichtet in dem Werk „Aus Fenebergs Leben“, das 1814 in München gedruckt wurde ausführlich über den Unfall. Zwei Jahre nach dem Tod von Feneberg und ca. 20. Jahre nach dem Geschehen. Er wird die Einzelheiten von Feneberg und seinem Kaplan Bayr erzählt bekommen haben. Voraus schickt er ein „Leitwort nach der gedruckten Grabschrift auf den liebenswürdigsten Bischof Frankreichs“. Sailers und Fenebergs Geburtsjahr war 1751. „Lieber Leser, löschet diese Buchstaben mit euren Thränen nicht aus, damit auch noch andere sie lesen können, und weinen wie wir.“ „Den 21sten Oct. 1793 [ein Montag] feyerte der Pfarrer in seiner Filialkirche Lengenwang den Gedächtnißtag des heil. Wolfgang mit einer, wie er erzählte, ihm leicht aus der Seele fließenden Predigt. Bey guter Zeit, Abends um vier Uhr, ritt er nach Hause. Die Witterung war mehr als unfreundlich, es schneiete und regnete unter einander. Mitte auf dem Wege, nahe Kirchthal [Weiler mit Filialkirche St. Anna, ca. 2,5 km von Lengenwang entfernt], stolperte das Pferd; der Alte ritt sehr langsam, zog den Zaum an sich, und erhielt dadurch das Pferd, daß es nicht stürzte. Gestürzt ist nun das Pferd nicht, aber dafür trat es etwas bergauf, und fiel mit dem alten Herrn [Feneberg war gerade 42 Jahre alt] auf die linke Seite. Besonnen und ruhig brachte er noch früh genug seine Füße aus den Steigbügeln, und den leicht gedrückten linken, durch Anspreizung des rechten, unter dem Pferde unbeschädigt heraus, und dankte Gott ausdrücklich dafür, daß kein Unglück geschehen war. Damit ihm nun ferner kein Leid geschähe, und er vom Pferde nicht getreten oder geschlagen würde, raffte er sich eilig vom Boden auf. Indem er sich aufmachte, glitt er mit dem rechten, noch nicht fest genug auf die Erde gesetzten Fuße auf dem glatten Boden aus, und drehte sich denselben rechten Fuß aus dem Knochengelenke, konnte aber noch, bey zehn Schritte, weiter gehen; jetzt that er wieder einen Fehltritt - das Bein krachte, und der Alte blieb an einer jungen Tanne, die er eben umarmen konnte, hängen. Dies geschah 800 Schritte außer Kirchthal am Ende des Wäldchens, das wir schon oft zum Ziele unsres Spazierganges gemacht hatten. Jetzt schrie der Alte um Hülfe, und sprach, so an der Tanne hängend bey sich: Ach, Gott, was thust du mir? diesen Bruch kann ja niemand mehr heilen (er hatte vor Kurzem eine ähnliche Beinbruchgeschichte gelesen). Auf den ersten Schrey hörte ihn ein Bube im nahen Orte, holte seinen Vater und sie liefen beyde dem Rufe des Pfarrers nach. Da sie das Pferd allein kommen sahen, konnten sie nichts Gutes ahnen, und sie fanden den Pfarrer noch am Tännlein hangen. Ich habe ein Bein gebrochen, sagte der Pfarrer, machet, daß ich geschwind heim komme - aber wie komme ich heim? Wie sie noch so in Verlegenheit dastanden und einander ansahen, kam ein Mann, der mit seinem Wagen in die Mühle [wahrscheinlich die Obermühle in Engradsried, die nicht weit vom Unfallort entfernt liegt] fuhr. Den Wagen hat Gott gesandt, rief der Alte, und er ward auf den Wagen gesetzt, und (zwey Knaben setzten sich zu ihm) langsam nach Hause [zum Pfarrhof in Seeg, der ca. 3 km entfernt lag] gebracht.
Sobald er den Siefel vom Fuße hatte, zeigte es sich, daß das Schienbein bey dem Knochengelenke hervorrage, Fleisch und Haut durchstochen, das Knochenband abgesprengt, und nebendem eine gefährliche Wunde verursacht worden sey. Kaplan Bayr [mit Andreas Siller war der in Dillingen geborene Franz Xaver Bayr Kaplan bei Feneberg. Er starb 1844 als Pfarrer in Dirlewang] hielt eben, da der Pfarrer in das Haus gebracht ward, den Nachmittags- Gottesdienst [es wird wohl schon Abend gewesen sein], und trat mit bangem Herzen in sein Zimmer. Da reicht ihm der Alte ganz getrost seine Hand und sagt: erschrick nicht: ich habe nur ein Bein gebrochen, und gleich darauf, wie er meinen Kummer sah, setzt er lächelnd hinzu: Dominus noster Jesus Christus feeit me labe: zu deutsch: Der Herr hat mich heimgesucht. Jetzt erschien ein Dorfbader, der bis Wohlwend, der geschickte Wundarzt von Nesselwang, um den der Pfarrer, (so besonnen war er), gleich von Kirchthal aus geschickt hatte, nachkommen konnte, sich daran gab, den Fuß einzurichten. Zwey feste Bauernknechte wurden dazu beordert; sie zogen sich am Fußeinrichten müde, und einem davon ist unter der Arbeit Sehen und Hören vergangen [viel wohl in Ohnmacht]. Der liebe Alte hielt mit unbeschreiblicher Geduld aus; kein Laut gieng aus seinem Munde, und er munterte noch dazu auf, ihn gar nicht zu schonen, und blieb so ruhig bey allem, als wenn es nicht er wäre, an dem man so Fuß einrichtete. Indeß verbreitete sich in der ganzen Pfarre die Nachricht: unser Pfarrer hat den Fuß gebrochen. Da strömte es in das Pfarrhaus herein, jeder wollte den Pfarrer sehen. Unter andern drängte sich einer herzu, der auch einmal ein Bein gebrochen hatte, und tröstete den Pfarrer: es werde schon wieder gut werden, denn er sey auch glücklich curiert worden. Die guten Pfarrkinder! Sie streiten darum, wer bey dem Herrn Pfarrer Nachtwache und Dienst thun dürfe. Thränen im Auge, erkundigten sich, die nicht in das Pfarrhaus kommen konnten, bey dem Kaplan, wie es dem Herrn Pfarrer gehe. Wohlwend kam, und fand es gleich mehr als bedenklich, ob das Knochengelenke, das gesprengte Knochenband, und die zerrissenen Adern je wieder in den rechten Zustand kommen würden. Am 4ten Nov. war Doctor Heimisch von Kempten gerufen, und fand es mit dem Wundarzte wahrscheinlich, daß es wohl zur Fußabnahme kommen dürfte. In der Nacht vom 8ten Nov. war das Wundfieber so heftig, daß dem Kranken die Sprache ganz zu verfallen drohte. Er verlangte die heilige Communion zu empfange, weil er aber nicht reden, und nur mit den Händen deuten konnte, so gieng es lange her, bis die Leute verstanden, was er wollte. Bayr ward geweckt, und es mußte ihm sonderlich zu Muthe seyn, als er den Chirurg im nächsten Zimmer zum Doctor hastig sprechen hörte: kommen sie doch geschwind, denn der Pfarrer kann alle Augenblicke sterben: was ist zu thun? Bayr eilte in die Kirche und brachte das h. Sakrament des Altars, betend und weinend. Der liebe Alte war gelassen und Gott ergeben. - Noch vor dem Genusse des Abendmals kam ihm die Stimme wieder, und er sprach zu Bayr: lieber Bruder! meine Empfindung ist die des Schächers am Kreuze: ich fühle es tief: ich bin ein Sünder, und mein ganzes Vertrauen ruht auf unsrem Herrn: er werde meiner gedenken in seinem Reiche. Die Aerzte fürchteten, es könnten der Kienbackenkrampf und die Gichter eintreten, und dem Leiden des Alten sehr schnell ein Ende machen. Jetzt gesellten sich die Leiden des Gemüthes zu denen des Leibes. Er sah die Gefahr, darin sein Leben schwebte; sah eine langwierige schmerzhafte Cur, sah seine Gläubiger, sah seinen alten Vater, seine Geschwister, denen er noch schuldig war, sah seine Pfarrkinder. Bayr saß allein an dem Bette seines Freundes. Sie konnten nichts anders als in des Herrn Schooß sich werfen und sich damit trösten: Er weiß darum, Er sieht unsre Thränen. Feneberg hub seine Hände zum Himmel und betete: „Mein Gott und Herr, was soll ich beten? Göttlicher Heiland! hast du doch so viele geheilet, die die in deinen Tage auf Erde nachgelaufen sind: solltest du nicht auch an mir deine Macht beweisen können? Du forderst Glauben, aber gerade der ist fast so schwach, wie mein Fuß. Doch, du bist es ja selbst wieder, der den Glauben pflanzen und erziehen muß! So gieb mir denn vorerst den Glauben, daß du mir Heil und Rettung schenken kannst. Die Natur möchte gerne wieder auf die Beine, doch nicht mein Wille, sondern der Deine!“ Bayr betete im Geiste mit, und sie fanden sich beyde nach diesem kindlichen Gebete getroster als zuvor. Der Kaplan mußte sich übrigens in zwey Menschen theilen: der eine mußte am Feuerheerde stehen, Arzneyen kochen, den Pils fühlen und dem Arzte referiren; der andere als Seelsorger der Gemeinde dienen. Diesmal hatte also die Noth Priesterthum und Arzneykunde wieder in Einer Person vereinigt.
Vom 8ten bis 12ten Nov. wechselte Furcht und Hoffnung; mit dem Anbruche des 13ten kam die Entscheidung, daß die Heilung des Fußes aufgegeben werden müsse; denn der ganze Fuß war bis eine Hand breit unter dem Knie vereitert; oben um das Schienbein über der Gegend der Waden hatte sich ein ganzer Kessel von Eiter angesetzt, und sicherlich tief eingefressen. Wohlwend hielt die Amputation des Fusses für nothwendig; nach seinem Wunsche wurde Heimisch und Hofchirug Lingg von Kempten geholet. Feneberg erschrak nicht im geringsten, als Bayr von ihm aufgefordert, erzählte, was Wohlwend von dem Fuße halte. „Ich habe gleich vom Anfang an nichts anders denken können, als daß der Fuß nicht mehr werde geheilt werden können: will‘s der Herr zum Fußabnehmen kommen lassen, so mag es in Gotternamen geschehen! Ich setze mich nicht dagegen.“ Das war alles was er darauf sagte. Die Herren von Kempten sind in Seeg angekommen. Lingg zog am 14ten Nov. bey der Untersuchung des Fußes, aus der durch Inzision gemachten Oeffnung, am Schienbein Flächsen heraus, die schon faul waren. Sein Urtheil lautete, wie folgt: Der Fuß sey im Anfange nicht recht eingerichtet worden: wäre das geschehen: so hätte es vielleicht seyn können, daß die Eiterung nicht so groß und um sich fressend geworden wäre. Jetzt sey kein anders Mittel mehr als den Fuß abzunehmen: jede Stunde Verzug sey gefährlich, und in 5-6 Tagen keine Rettung mehr, also: amputetur. Heimisch und Wohlwend stimmten in dies Urtheil ein - und Feneberg auch. Es ward also beschlossen, den Fuß morgen früh abzunehmen. Ach, sagte der Alte, warum nicht gleich jetzt? Jetzt kann es nicht seyn, antwortete man ihm, denn es müssen Anstalten getroffen werden; nun gieng jeder an seine Arbeit, und noch in der Nacht mußte ein Bote die Amputations-Werkzeuge von Kempten holen. Bayr war allein bey Feneberg. Was meynst du, fragte dieser, thu ich recht, daß ich in die Amputation einwillige? Bayr erwiederte (sic!): ich glaube, es sey so Gottes Wille: wir haben ja die ganze Sache ihm empfohlen; nun da es so gekommen sit, so muß ich das Urtheil des Arztes für Gottes Willen ansehen. Ueberdem hast du jetzt Muth und Entschlossenheit, in die Amputation einzuwilligen: dies ist auch kein Ungefähr, und ist mir ein Beweis, daß es Gott so gefallen hat. Er hat eben dein Gebet nach seiner Weise erhöret: du wolltest ein gesundes Bein, und er schenkt dir Muth, es zu verlieren, um den ganzen Körper zu retten.“ - „Gerade so schaue ich den Handel an, sagte Feneberg: er geht mich zwar am nächsten an, aber in Gottes Namen, ich kann nicht anders. Jetzt will ich mich, recht ordentlich und zur Erbauung meiner Gemeinde, dazu vorbereiten. Dechant in Pfronten, Selb, war gerade auf Besuch da; mit diesem machte er sein Testament; darnach beichtete er und ließ sich die heil. Communion reichen. Als Bayr den gegenwärtigen Pfarrkindern ansagte, was man morgen früh vorhabe, überfiel alle ein tiefes Entsetzen, das endlich in lautes Schluchzen ausbrach. Dem lieben Kranken ward nochmal zur Ader gelassen, und für heute gieng alles aus einander. Feneberg suchte, nun allein, auch den leisesten Gedanken an die Amputation aus der Seele zu verdrängen, und sich von allen Vorstellungen, was da alles geschehen könnte, rein und frey zu bewahren. Dazu half ihm die ewige Huld, an die er glaubte. Er konnte der Einbildung Meister werden, und genoß in der Nacht einen erquickenden Schlaf. Wir andern aber suchten Ruhe, und konnten sie nicht finden. Der Morgen war angebrochen; da pochte nun freylich dem lieben Alten das Herz, und so oft due Thür gieng, war es ihm wie einem armen Sünder, dem das Leben abgesprochen worden. Es war ihm bange, man spreche: jetzt fangen wir an. Endlich fieng‘s denn doch an, und der liebe Alte richtete sich selbst auf, und ließ in Gottes Namen anfangen. Vier Männer trugen ihn auf sein hölzernes Kanapee, und legten ihn so, daß der Fuß über dasselbe hinausgieng, und frey und recht konnte gehalten werden. Man legte den Tourniquet [Abbindesystem, durch das der Blutfluss in den Venen und Arterien gestaut oder vollständig unterbrochen werden kann.] an und schraubte über dem Knie die Adern z; eine Hand breit unter dem Knie wurde wieder unterbunden, und nun griff Lingg nach seinem sichelförmigen Messer, drückte es ins Fleisch, fuhr damit um den Fuß herum, und schnittso, auf zweymal bis auf‘s Bein. Den Kaplan durchschauerte es, bey diesem ersten Schnitte durch das Fleisch; der Pfarrer hielt sich fest an dessen Hand ein, und wandte sein schweißbetröpfeltes Angesicht schaudernd hin und her. Da das Fleisch losgeschnitten war, wurde auch das Beinhäutchen abgelöset: der Schmerz wiederholte sich. Nun kam die Säge, und sägte das Schien- und Spindelbein durch, und so war der Fuß vom ersten Schnitt an, in fünf Minuten weg. Was der liebe Alte gelitten haben mag, läßt sich besser nachfühlen als schreiben. Kalter Schweiß lag auf ihm und Züge des allerempfindlichsten Schmerzens prägten sich in seinem Gesicht aus. Nie schrie er, nur ächzte er; litt keine Ohnmacht, ließ sich auch kein Opium geben. Gebet wir nichts Einschläferndes, sagte er, denn ich will ganz dabey sein. Seine Geistesgegenwart blieb unübermannet. Er sagte mitten in der Operation zu Lingg: ihre Säge schneidet nicht, und zu seinen Gesellen: sie halten den Fuß nicht gerade. Jetzt gieng es, in Eile, zum Verbande. Alles lag schon in Bereitschaft da, es geschah keine Verblutung, und es gieng alles gut und glücklich.
Das Volk harrte in der Kirche, betend unter der Operation, und als die Nachricht in die Kirche kam: Ihr lieben Pfarrkinder! der Fuß ist glücklich abgenommen, schrie alles laut auf: Gott sey gepriesen, und das Gebet dauerte noch eine Weile fort. Eine Viertelstunde nach der Fußabnahme ward der liebe Alte wieder auf sein Bett getragen. Er fieng an sich zu entfärben; Muskeln und Nerven des Gesichtes waren alle gespannt und blaß - es bangete uns um sein Leben. Den ganzen Tag blieb der kalte Schweiß auf ihm, und bey Nachts zeigten sich gichterische Bewegungen, aber nicht stark, und sie ließen bald nach. Am dritten Tage nach der Amputation ward der Verband geöffnet; alles zeigte sich gut, und es geschah auch diesmal keine Verblutung. Allmählig erholte sich der Leidende, und die heitern Augenblicke kamen wieder und wessagten uns, daß er die Heilung überstehen werde. Im weiteren Bericht wird erwähnt, dass sein Kaplan Bayr Feneberg jeden „zweyten Taqg allein, und am dritten im Beyseyn des Chirurgs“ verbunden habe. Er sagte zu Bayr; „es ist mir durchgehend nicht anders, als ob ich noch mein ganzes Bein hätte. Ich hab in den weggenommenen Theilen alle die Empfindungen, als wenn sie nicht weggenommen wären. An einem der erstern Tage des Dec. konnte er schon einige Zeit im Bette aufsitzen, und sah so durch das Fenster in die schöne Gegend hinaus, die mit dem feinsten und weissesten Reifen angeduftet, sich ihm in der ganzen Winterschönheit präsentierte. Da trank er das erstemal, dem schönen Tage, und seinem Leibchirurg zu Ehre [Boos], etwas Wein im Wasser, und ward so von Freude übernommen, daß er das ganze Lied vom Reifen aus Claudius hoch und festlich sang. Matthias Claudius Ein Lied vom Reifen d. d. den 7. Dez. 1780. Wandsbeck Sirach C. 43. V. 21. Er schüttelt den Reifen auf die Erde wie Salz.
Seht meine lieben Bäume an, Wie sie so herrlich stehn, Auf allen Zweigen angetan Mit Reifen wunderschön! Von unten an bis oben ´naus Auf allen Zweigelein Hängt´s weiß und zierlich, zart und kraus, Und kann nicht schöner sein; Und alle Bäume rundumher All alle weit und breit Stehn da, geschmückt mit gleicher Ehr, In gleicher Herrlichkeit. Und sie beäugeln und besehn Kann jeder Bauersmann, Kann hin und her darunter gehn, Und freuen sich daran. Auch holt er Weib und Kinderlein Vom kleinen Feuerherd, Und marsch mit in den Wald hinein! Und das ist wohl was wert. Einfältiger Naturgenuß Ohn Alfanz drum und dran Ist lieblich, wie ein Liebeskuß Von einem frommen Mann. Ihr Städter habt viel schönes Ding, Viel Schönes überall, Kredit und Geld und golden Ring, Und Bank und Börsensaal; Doch Erle, Eiche, Weid und Ficht Im Reifen nah und fern -- So gut wird´s euch nun einmal nicht, Ihr lieben reichen Herrn!
Das hat Natur, nach ihrer Art Gar eignen Gang zu gehn, Uns Bauernsleuten aufgespart Die anders nichts verstehn. Viel schön, viel schön ist unser Wald! Dort Nebel überall, Hier eine weiße Baumgestalt Im vollen Sonnenstrahl Lichthell, still, edel, rein und fein, Und über alles fein! -- O aller Menschen Seele sei So lichthell und so rein! Wir sehn das an, und denken noch Einfältiglich dabei: Woher der Reif, und wie er doch Zustande kommen sei? Denn gestern abend, Zweiglein rein! Kein Reifen in der Tat! -- Muß einer doch gewesen sein Der ihn gestreuet hat. Ein Engel Gottes geht bei Nacht, Streut heimlich hier und dort, Und wenn der Bauersmann erwacht, Ist er schon wieder fort. Du Engel, der so gütig ist, Wir sagen Dank und Preis. O mach uns doch zum heil´gen Christ Die Bäume wieder weiß!
Am 18ten Dez, konnte er schon selbst seinen ersten Brief an Freund [Johann Baptist] Ruoesch [1744-1832, Regierungspräsident der Fürsten Oettingen-Spielberg] schreiben: […] Es ist, als wenn ich mein Elend nicht fühlte; es ist mir ungleich mehr wohl, und weniger weh, als sonst. Ich meyne, es habe alles so seyn müssen, und habe jetzt keine Sorge mehr, als daß ich auf meinem künftigen Stelzfuße recht gehen lernen möge. Aus Fenebergs Leben - von J. M. Sailer - 1814
Kreuz und Krücke von 1808 aus dem Verkündbuch (links) und Fenebergs Siegel von 1810 (rechts) [Die Abbildungen habe ich erhalten von Jochen Teuffel - hier zu seinen Seiten . . .] Das Siegel nimmt Bezug auf die Bibelstelle Markus 9,14: "Und sie kamen zu den Jüngern und sahen eine große Menge um sie herum und Schriftgelehrte, die mit ihnen stritten."
Sailer weist am „Schluß der ersten Leidensgeschichte“ darauf hin, dass Fenebergs Fuß [wohl auf dem Friedhof von Seeg] begraben wurde. Als „ein neues Grab aufgeworfen werden mußte; da wurde das Bein ausgegraben. Weil alles Fleisch an demselben schon ganz in Staub und Moder zerfallen war, so nahm Kaplan Bayr das Bein, auf Verlangen Fenebergs, mit nach Hause, und übergab es ihm. Nachdem es abgewaschen und gereinigt war, legte Feneberg sein abgenommenes Bein als ein Denkmal der überstandenen Leiden und der dabey erfahrenen Hülfe des herrn, und als ein tägliches Memento mori, vor seine Augen auf den Schreibtisch hin, an den Fuß eines dort stehenden Cruzifixbildes, wo er zur kalten Jahreszeit auch Beicht hörte. Dieses abgenommene todte Bein hat nun hier mit den übrigen noch lebenden Gliedern des Pfarrers auch noch wichtige Dienste in der Seelsorge des Pfarrers gethan, indem Feneberg bey mehreren sich ergebenden Anlässen auch Andere darauf hinwies, und seinen Worten und Ermahnungen mit Vorzeigung desselben den kräftigsten Nachdruck geben konnte.“ Es folgt dann ein Beispiel dafür, wie er den Knochen, bei Eheleuten die auf Scheidung drangen, einsetzte. In der Überschrift spricht Sailer von der „sonderlichen Kraft einer sonderlichen Reliquie (ohne Alfanz [ohne Betrug, Schwindel, Unfug] und Aberglaube.
Matrikeleinträge der Familie Feneberg Matrikel: Marktoberdorf Taufen, Hochzeiten | 3-TH - 0674 Johann (Joannes) Michael Feneberg wurde am 9. Februar 1751 geboren; Eltern: Matthias Feneberg und Maria Anna. Hochzeit Mattho(ä)us(sic!) mit Maria Anna Nieberlin aus Dencklingen (30. September 1748): Marktoberdorf Taufen, Hochzeiten | 3-TH - 0736 Geschwister und Halbgeschwister: Maria Ursula * 10. April 1748: Matrikel: Marktoberdorf Taufen, Hochzeiten | 3-TH - 0668 Maria * 19. November 1752: Matrikel: Marktoberdorf Taufen, Hochzeiten | 3-TH - 0668 Tod des Vaters, als Feneberg 13 Jahre alt war. Matthous Fenneberg (sic!), gestorben am 20. Januar 1764 1752: Matrikel: Marktoberdorf Sterbefälle | 3-S - 0792
Hochzeit Antonius Frölich und Maria Anna, Witwe von Matthio Fenneberg am 22. Mai 1764; Matrikel: Taufen, Hochzeiten | 3-TH - 0744 Bereits vier Monate nach dem Tod ihres Mannes heiratete Maria Anna Antonius Frölich. Bekannt ist sein 15 Jahre jüngerer Halbbruder Josef Aloys von Frölich , württembergischer Hofrat, Medizinalrat und Naturforscher, um dessen Ausbildung sich Feneberg kümmerte. Josephus Aloysius * 10. März 1766: Matrikel: Marktoberdorf Taufen, Hochzeiten | 3-TH - 0706 „Josef Aloys Frölich wird am 10. März 1766 als Sohn des Wirts Franz Anton Frölich (1712- 1794) und seiner Frau Maria Anna, geborene Nieberle (1726-1794) im Allgäuer Marktflecken Marktoberdorf in der Wirtschaft zum Stein geboren, die es heute nicht mehr gibt. Seine Mutter hat aus erster Ehe mit dem verstorbenen Wirt Matthäus [?, eher Matthias] Feneberg (1703-1764) einundzwanzig Kinder [ist nachzuprüfen?]. Aloys ist ihr zweiundzwanzigstes Kind. Der Bub ist viel draußen in freier Natur und hütet das Vieh. Noch ehe er Latein versteht, beginnt er Pflanzen zu sammeln. Sein erster botanischer Lehrer ist der Füssener Arzt Dr. Thwingert. Auch ist der kleine Aloys ein großer Vogelliebhaber.“ . . . Nach Abschluss seiner . . . Studienzeit kehrt der Dreißigjährige in sein Allgäuer Vaterland zurück und bewirbt sich um eine Anstellung. […] Frölich wird durch bischöflich augsburgisches Dekret vom 27. April 1796 in Sonthofen Oberallgäuer Landschaftsphysikus in freier medizinischer Praxis, ferner Inspektor der Sonthofener Berg- und Eisenwerke. Darin sind vorher Betrügereien vorgekommen; […] In Personalunion ist Klemens Wenzeslaus Fürstpropst von Ellwangen. Frölich bewirbt sich um die freie Stelle eines Ellwanger Hof-, Stadt- und Landphysikus […]“ Quelle: Hans Wolf; Josef Aloys Frölich (1766-1841) und die Flora von Ostwürttemberg; Ber. Bot. Arbeitsgem. Südwestdeutschland Beiheft 1 (2004) Franc(?) Antonio, geb. 27. Oktober 1712; Eltern Johannes Frölich und Maria Barbara; Marktoberdorf Taufen | 2-T - 0456
Kurze Übersicht seiner Lebensstationen: Nach Studien Fenebergs 1761 in Kaufbeuren und anschließend in Augsburg wurde er Novize bei den Jesuiten in Landsberg. Von 1778 bis 1785 übte er das „Frühmeßbeneficiat“ in Marktoberdorf aus. 1785 wurde er auf Empfehlung Johann Michael Sailers Professor am Gymnasium in Dillingen. Er verfasste dort einen neuen, fortschrittlichen Lehrplan. 1793 übernahm er die Pfarrei Seeg. Zu seinen Hilfspriestern zählten unter anderem Martin Boos und Johannes Goßner. Über seinen Vetter Boos kam Feneberg zur Erweckungsbewegung. „Seeg und sein Pfarrer Johann Michael Feneberg wurden zu einem Mittelpunkt dieses neu erwachenden Glaubenslebens", wo vor allem Jesusliebe und Innerlichkeit statt äußerlicher Frömmigkeit wichtig waren. Er wurde von der Obrigkeit gemaßregelt, aber nicht umgestimmt. Einer seiner zeitweiligen Kaplane, der spätere Jugendschriftsteller Christoph Schmid, der auch den Text zum Lied „Ihr Kinderlein kommet“ schrieb, zählte die Tage in Seeg bei diesem frommen und gescheiten Pfarrer und Seelsorger „zu den glücklichsten seines Lebens“. Trotz strengem Dienst und eifriger Studien blieb in der Gemeinschaft des Pfarrhofs Zeit für gemeinsame Musik oder auch Lektüre englischer und italienischer Dichter. Nie, erinnert sich Schmid, war er „zufriedener, ja seelenvergnügter". Erst nachdem viele enge Mitstreiter weggezogen waren, übernahm Feneberg 1805 die kleinere und einträglichere Pfarrei Vöhringen an der Iller, wo der „edle und vielgeprüfte Mann“ am 12. Oktober 1812 starb. Grabplatte von Johann Michael Feneberg an der alten Vöhringer Pfarrkirche
XARA
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